Victorius Baubericht zur Victory von DeAgostini

Ein eigener Raum im Keller ist für die Arbeit an einem historischen Schiffsmodell natürlich optimal. Nachdem ich aber den fünfundzwanzigsten Taljenblock mit Fäden umknotet habe, merke ich, dass es dort auch langweilig und einsam sein kann.

"Lieblng," sage ich zur verständnisvollsten aller Ehefrauen, "dürfte ich heute abend einmal im Wohnzimmer arbeiten?"
Sie sieht mich ein wenig entgeistert an, wahrscheinlich hat sie nach der langen Zeit, die ich im Keller abgetaucht war, vergessen, dass sie verheiratet ist.
"Ich will nur die Taljenblöcke an der Großrah anschlagen" füge ich ein wenig zaghaft hinzu.
Eine Falte entsteht auf ihrer Stirn: "Musst Du immer mit diesen Fremdworten angeben?"
"Na ja, also die Großrah ist…"
"Erklär's mir nicht!" fällt sie mir schnell ins Wort und setzt dann, nach kurzem Zögern, hinzu: "Macht das Dreck?"
"Nein", beteuere ich, "um Himmels Willen, nein! Kein Dreck!
Sieh mal, die ganze Schmutzarbeit an der Rah habe ich hinter mir. Ich habe das Rundholz verjüngt und den Mittelteil achteckig geschnitzt, dann Leisten angephast und damit die Schalung für den Rahkörper modelliert, die Heißstropps angeklebt - und die Großmarsleesegelspieren sind auch schon geformt. Jetzt muss ich eben nur noch die Taljenblöcke anschlagen."
Die Falte der Ungeduld auf Ihrer Stirn vertieft sich, darum füge ich noch schnell hinzu: "Und im Fernsehen läuft 'X-men', das könnte ich nebenher…"
"Is ja gut" sagt sie und lächelt, "Ich nehm nur schnell das Tischtuch weg"
"Nicht nötig" beteuere ich, "ich mache heute nur ganz saubere Arbeit."

Die Bauanleitung vor mir auf dem Tischtuch ausgebreitet, knote ich mit dicken Wurstfingern einen ersten dünnen Faden um die Rah. Ich habe alle Stehlampen der Wohnung um den Tisch aufgebaut, damit ich genug Licht habe. Jetzt spiegeln sie sich leider im Fernseher, sodass ich Wolverine und Storm hinter den Reflexen kaum erkennen kann. Warum heißen die eigentlich X-men, wo doch auch X-women dabei sind?

Der winzige Knoten gelingt mir nicht, denn der erste Halbschlag geht immer auf, bevor ich ihn mit einem zweiten Halbschlag fixieren kann. "Knoten mit Sekundenkleber sichern", steht in der Bauanleitung. Gute Idee. Ich weiß natürlich, wie man mit Sekundenkleber umgeht. Einen Tröpfchen auf ein Blatt Papier, dann mit einem Zahnstocher eine kleine Menge aufnehmen, damit den Knoten betupfen und schon ist er fixiert, der zweite Halbschlag ist dann eigentlich überflüssig. Jetzt dauert es noch ein wenig, bis die hilfreichste aller Ehefrauen die Zahnstocher gefunden hat und ich muss den Kleber noch aus dem Keller holen. Inzwischen versäume ich, wie Magneto irgendeine Gemeinheit ausheckt.

Ich öffne die Tube und will ein kleines Tröpfchen vorsichtig auf ein Blatt Papier fallen lassen. Sekundenkleber hat leider die unangenehme Eigenschaft, schon nach kurzem Gebrauch die Tube mit einem harten Pfropfen zu verschließen. Da nichts aus der Tube kommt, drücke ich fester. Es macht "Pflopp" und der harte Pfropfen schießt raus, gefolgt von einem großen Tropfen, der mindestens 20 cm neben der Unterlage mitten am Tischtuch landet.

Mein entsetztes Keuchen schreckt die hellhörigste aller Ehefrauen auf, die es sich im Fernsehsessel gemütlich gemacht hat. Ich tue so, als ob ich mich nur geräuspert hätte.
"Was ist?" fragt sie.
"Nichts, gar nichts" sage ich, vielleicht etwas zu rasch, während ich fieberhaft überlege, wie ich das Malheur ungeschehen machen kann.
Sie blickt prüfend zu mir herüber. In so einem Moment können Frauen Gedanken lesen. Der letzte Rest meiner Selbstsicherheit verschwindet und macht einem verzweifelten Schuldbewusstsein Platz. Ich starre entsetzt auf den Fleck in der Größe einer Cent-Münze, wo der Sekundenkleber das Tischtuch bereits in Plastik verwandelt und mit der Tischplatte fest verbunden hat. Das wird schlimm, denke ich voller Panik, während die argwöhnischste aller Ehefrauen aufsteht und hinter mich tritt. Mich erwartet jetzt wohl eine Strafpredigt, die sich gewaschen hat, dann drei Wochen Liebesentzug und das Verbot, jemals wieder mit Bastelzeug die Wohnung zu betreten.

Ich zucke zusammen, als sie die Hand auf meine Schulter legt. Doch sie, die gütigste aller Ehefrauen, will mich nur trösten: "Macht nichts, Schatz, solange nichts Schlimmeres passiert. Ich freue mich trotzdem, wenn Du einmal heroben arbeitest." Und dann meint sie, mit einem traurigen Seitenblick auf das Tischtuch: "Schade, es war schon eines von den schöneren Tischtüchern". Ich stehe auf und wir küssen uns lange und innig. An diesem Abend habe ich keinen Knoten mehr geknüpft und X-men hat uns auch nicht mehr interessiert…

Am nächsten Tag versuche ich, den Fleck mit Sekundenkleber-Entferner zu behandeln. Der Kleber geht auch weitgehend wieder raus, aber die Farbe vom Tischtuch leider auch. "Dort müssen wir jetzt halt immer einen Teller draufstellen" sagt die beste aller Ehefrauen.

Ich sag mal,
Glück gehabt Bernd!

schöne Geschichte, Victorius,

mitten aus dem Bastlerleben.......
und sowas kann man auch nur in Prosa erzählen,
Die Junggesellen und die unbeweibten können
da garnicht mitreden...
als Entschädigung für unsere Schrecksekunden
haben wir Ehemännern im Winter auch keine
kalten Füsse und weniger kalte Hintern im Schlaf.

ich gratulier dir jedenfalls mal zu deiner
zu Überraschungen neigenden besseren Hälfte...
wahrscheinlich isses keine Wienerin....die
sind bisserl ruppiger......
....frag nicht woher ich das weiß....lach

nett grüßt mal nach Ösiland
der Ossi

Du sagst, es Ossi!

Und nein, meine Frau ist tatsachlich keine Wienerin, sondern, so wie ich, geboren und aufgewachsen in Graz .

Grüße zurück ins Moselland

Ephraim Kishon hätte seine freude an dieser geschichte gehabt.
gratuliere zur besten ehefrau von allen, bernd.

.............nennt man auch Liebe...




aber, so kann,s gehn............

Liebe Leute,

ich bin Euch noch ein Bildchen von der Großrah schuldig. Bautechnisch gibt es ja nicht viel dazu zu sagen. Ich habe mich genau an den Plan gehalten. Nur die Halterungen für die Fußpferde habe ich nicht aus Draht gemacht, sondern aus (superkleberversteiftem) Garn. Schien mir natürlicher so.

Hallo Bernd
wieder mal eine saubere Arbeit von dir

bernd,da habe ich uch schon drann gedacht.gefällt mir gut

Klasse Bernd,
Das ist wieder eine saubere arbeit

Danke, liebe Werftkollegen!
Das Ergebnis der Arbeit mag ja sauber aussehen , aber die Arbeit selbst war's leider nicht (siehe Sommergeschichte).
Aber solange durch meine Ungeschicklichkeiten nur die Umgebung versinkt (im Chaos) und nicht das Schiff, besteht noch Hoffnung.

Hallo Bernd
Ich meinte ja auch die arbeit an der Victory, und nicht die an der Tischdecke

faden statt gedrilltem draht ist immer die bessere wahl. sieht einfach viel besser aus, bernd.

ml-modell schrieb:faden statt gedrilltem draht ist immer die bessere wahl. sieht einfach viel besser aus, bernd.

Da muß ich Dir vollkommen Recht geben.

Darf ich meine Version der Fusspferde kurz vorstellen? Passt grad ins Thema, oder sollte ich das besser bei meinem Thread tun? Ich möchte keine Regeln verletzen.

Hallo Robert,

dies gehört doch zu deinen Baubericht.
Also rein damit.

...in meinen Baubericht? Und nicht hierher, so korrekt?

Richtig Robert

Tolle Arbeit Victorius, bin ebenfalls gerade bei der Grosrah ...und kann da super mitfühlen.

Jetzt ist es so---- erst mal beim Bernd schauen --- dann erst weiter fummeln und sich ärgern, dass man die Präzision von Bernd nie und nimmer erreicht.
Das sind beste Arbeiten in Uhrmacher - Qualität, die du hier zeigst!

Bärig – pfundig –sauguad : andere Superlative kenn ich nicht mehr !!

Hubert schrieb:Jetzt ist es so---- erst mal beim Bernd schauen --- dann erst weiter fummeln und sich ärgern, dass man die Präzision von Bernd nie und nimmer erreicht.
Das sind beste Arbeiten in Uhrmacher - Qualität, die du hier zeigst!

Bärig – pfundig –sauguad : andere Superlative kenn ich nicht mehr !!

Hubert da hast Du wahre Worte gesprochen ... das nahezu perfekter Modellbau, da bin ich meilenweit davon weg ... und bin trotzdem stolz auf meine Vic.

Danke, Hubert und Jürgen! Euer Lob spornt an.
Jetzt bräuchte ich halt etwas mehr Zeit zum Basteln ...

So, liebe Leute, ich habe endlich den Fockmast fertig (Heft 70).
Hier ist einmal der untere Teil mit den Speeren (den boarding pikes von Caldercraft).



Für die Mastbänder habe ich einen gewachsten schwarzen Faden verwendet



Es glänzt alles ein wenig, da ich es schon mit farblosem Lack behandelt habe.

Hier ist die Marsplattform mit den vielen dranhängenden Takelblöcken







Ich habe da ziemlich genau die Bauanleitung befolgt. Nur bei den Wicklungen um den Masttopp habe ich vier statt drei Windungen gelegt. Habe da ein wenig rumprobiert und so hat es irgendwie am natürlichsten ausgesehen.





Die Knoten sind nur mit verdünntem Weißleim gesichert, nicht mit Superkleber (durch den die Knoten einen allzu "glasigen" Charakter bekommen, besonders wenn man zu viel erwischt).

Hier ist noch der obere Teil des Mastes





und speziell die Großbramsaling

Hallo Bernd,
Dein Mast sieht sehr gut aus.
Hast Du einen glänzenden Klarlack verwendet?

Hallo Bernd, selbst bei den gemeinen Makroaufnahmen kann man keine Fehler sehen. Das ist eine makellose Arbeit. Mir bleib da die Spuke weg ...